Ich bin - das Bewusstsein. Raum für Wut
Das All strahlt Ruhe aus, die Erde ist massiv und stabil. Die Menschen können ebenso ruhig und klar sein. Selbst im Sturm der Gefühle. Das weiß ich, das Bewusstsein, genau.
Professorin Cassie ist wütend, weil der Dekan, ihr Vorgesetzter, sie in einer Sitzung herablassend behandelt. Zuerst kann sie gute Miene zu den gönnerhaften Sprüchen machen, doch dann wallt die Wut mit Macht in ihr auf. Sie fängt an zu zittern, hat böse und ungerechte Erwiderungen auf der Zunge. Allerdings hat sie sich soweit unter Kontrolle, dass sie kein Drama veranstaltet, sondern die laufende Sitzung verlassen kann. Sie flüchtet in ihr Büro. Wütend geht sie die Situation im Kopf wieder und wieder durch.
Es klopft an der Tür. Anton, ein Kollege, tritt ein und setzt sich auf den Besucherstuhl. Ungehalten dreht sie sich zu ihm um. Sie will ihre Ruhe haben und ihn wegschicken, doch als sie sieht, wie interessiert und freundlich er sie ansieht, ist sie froh, dass er da ist. Seine entspannte und aufmerksame Art irritiert Cassie, denn das kennt sie nicht.
Wenn sie nur wüsste, was ich weiß. Anton bietet ihr durch seine Anwesenheit an, ihre Wut in Beziehung zu bringen, anstatt sie mit sich selbst auszumachen und immer wieder kreisen zu lassen. Cassie fängt die Botschaft auf. Sie nimmt die Gelegenheit wahr und schimpft: „Dieser Typ macht mich wahnsinnig. Wie der mir die Welt erklärt, als wäre ich ein dummes Kind.“
Cassie spürt die Wut als kribbelnde Energiewelle von ihrem Bauch aufsteigen, über ihren Brustkorb in ihren Kopf. Sie richtet sich unwillkürlich auf und ihre Stimme wird fest. „Er stellt damit meine Autorität in Frage. Ich habe mir viel Wissen erarbeitet und mache einen guten Job, aber er muss mir die einfachsten Sachen erklären.“
Anton stimmt nicht ein. Er stellt sich nicht auf ihre Seite und auch nicht auf die Seite des Dekans. Er ist einfach da, still und präsent, wie ein neutraler Ansprech- oder Spielpartner. Cassie fühlt sich ernstgenommen. Sie hat das Recht, wütend zu sein und lässt die Wut fließen. Die hat jetzt so viel Kraft, dass Cassie durchs Zimmer hüpft, in die Luft boxt und weitermeckert.
Dann wird Cassie ruhiger. Ihr Blick weitet sich über ihr eigenes Erleben hinaus. Sie nimmt ihr Büro wieder wahr. Anton ist noch da. Er lächelt immer noch aufmerksam und freundlich. So etwas hat sie noch nie erlebt. Ihrer Erfahrung nach wird Wut mit gemeinsamem Schimpfen, Hineinsteigern oder Weglaufen beantwortet. Sie fürchtet, sie hätte Anton als Punching-Ball benutzt, aber er widerspricht. Er hat sich von ihrer Wut nicht angegriffen gefühlt, denn sie hatte offensichtlich nichts mit ihm zu tun.
Nach der Pause gehen sie zurück in die Sitzung. Die herablassende Art des Dekans regt Cassie weniger auf. Sie erkennt, dass er mit allen Frauen so umgeht. Das konnte sie in all den Jahren nicht wahrnehmen, weil ihre Wut den Blick darauf verstellt hat. Seine Art gefällt ihr zwar nicht, aber sie versteht, dass es nichts mit ihr oder ihren Kolleginnen zu tun hat. Sie weiß es noch nicht, aber diese Erkenntnis wird ihr in der Zukunft in vielen Situationen helfen.
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