Ich bin - das Bewusstsein. Geschwister

Die Planeten nähern sich auf ihren Umlaufbahnen minimal an und entfernen sich dann wieder. Das beobachte ich, das Bewusstsein, ständig. Auf der Erde ziehen die Störche nach Süden und finden zurück in die gleichen Dörfer. Bei den Menschen verlassen die jungen Leute ihre Gemeinschaften und kehren mit neuen Fertigkeiten wieder.

Cassie hat Besuch von ihrem Bruder Jonas. Er hat nicht nur sein kleines Köfferchen dabei, wie sonst, sondern einen großen Reisekoffer. Die Geschwister sitzen abends bei einem Glas Wein. Auf Cassies Frage, was passiert sei, will er nicht antworten. „Mit dir kann man nicht reden. Immer weißt du alles besser.“

„Das ist typisch für meinen Beruf“, wiegelt Professorin Cassie ab. „Versuch es doch mal.“

„Versuch du erstmal zuzuhören“, gibt er genervt zurück. Die beiden schweigen kurz, bis sie das Gespräch auf den Tratsch in ihrem Heimatdorf lenken. Es ist eine einfache Möglichkeit, in Verbindung zu kommen, ohne über das Wesentliche zu sprechen.

Wenn sie nur sehen würden, was ich sehe. Die beiden Mittfünfziger sitzen in Cassies Berliner Fünf-Zimmer-Wohnung und fühlen sich wie als Jugendliche. Sie gibt die kluge kleine Schwester, er den impulsiven großen Bruder, aber das bemerken sie nicht. In dieses Muster sind sie schon tausende Male gefallen, wenn er ihre Hilfe brauchte. In dieser speziellen Situation haben sie es noch nie geschafft, wie Erwachsene zu sprechen.

Cassie fängt meine Botschaft auf. „Ich fühle mich wieder wie mit 14“, schmunzelt sie. „Kannst du dir vorstellen, dass wir uns wie Erwachsene unterhalten? Ich meine, wir sind erwachsen.“ Sie spürt einen leisen Zweifel, wie so oft, wenn sie mit ihrem Bruder zusammen ist.

Er schaut erstaunt auf, denkt eine Weile nach und nickt. „Wir sind erwachsen. Wir können eigentlich so miteinander reden. Also gut. Ich habe meinen Job verloren und mich in einer Tagesklinik hier in der Nähe angemeldet. Ich habe Burnout und im Dorf würden alle reden. Deswegen will ich das hier machen. Die denken alle, ich bin im Urlaub.“ Er verstummt und wartet auf ihre Antwort.

Cassie will ihn trösten, ihn aufmuntern, aber damit würde sie in die alten Muster der vorlauten, kleinen Schwester und der allwissenden Professorin fallen. Dabei braucht er jetzt Raum und Mitgefühl. Cassie begreift und schweigt.

Er wundert sich. „Du sagst ja gar nichts.“

„Ich versuche zuzuhören“, gibt sie etwas zu schnippisch zurück. Er nickt und fängt an zu erzählen, erst unzusammenhängend und durcheinander. Schließlich wird er immer klarer. „Ich brauche professionelle Hilfe. Ich weiß nicht wie lange, aber ich möchte hier wohnen. Wenn das geht.

„Du kannst so lange hier bleiben, wie du willst. Es gibt keinen Jungen in meinem Leben, also wird es da keine Probleme geben.“

Er nickt zufrieden. Die beiden bemerken nicht, dass sie in die Rolle der Jugendlichen zurückgefallen sind. Es wird eine große Herausforderung werden, aber sie geben sich damit die Chance, einander auf Dauer als Erwachsene zu begegnen und neu kennenzulernen.

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