Wer bestimmt, was interessant ist?

Manchmal haben wir ein negatives Bild von uns selbst. Bis wir es merken.
Hier eine Anekdote.

Janina lachte. „Das war ja eine verrückte Situation. Da wäre ich gern dabei gewesen.“
„Ich erlebe in der Kita so viel davon, ich könnte ein Buch drüber schreiben“, schmunzelte Isabel.
„Mach doch“, erwiderte ihre Freundin und nippte an ihrem Cappuccino.
„Wann soll ich das denn machen? Ich habe kaum Zeit, mich mit dir zu treffen, habe keinen Verleger und weiß nicht, wie das geht.“
„Du könntest es lernen. Immerhin bist du klug und hast viel zu sagen. Versuch doch, ein Exposé zu schreiben.“
Isabel musterte drei Frauen an einem der kleinen Bistrotische, die während der Unterhaltung ihre Babys in den Kinderwagen schaukelten. „Lieber nicht. Es ist doch immer das gleiche. Ich gehöre doch schon zur Karikatur der Prenzlberger Muttis.“
„Dann schreib gegen die Karikatur an.“
„Du hast gut reden mit deinem unkonventionellen Familienkonzept, dem Erfolg und deinen Geschäftsreisen. Du solltest das Buch schreiben, du erlebst wenigstens was. Meine Geschichten sind doch nicht interessant.“
„Wenn du das findest, nutze doch Geschichten von mir und verarbeite sie literarisch.“
„Ich soll über dein Leben schreiben? Mach doch selbst, aber das kannst du ja nicht.“
„Moment mal, ich schreibe sehr gut. Meine Aufsätze werden regelmäßig veröffentlicht.“
„Fachchinesisch. Das lesen doch nur andere Professorinnen.“
Janina schluckte und atmete tief durch, bevor sie antwortete. „So siehst du meine Arbeit?“
„Irgendwie schon.“
„Weißt du was? Es ist nicht mein Problem, dass du dich und dein Leben für uninteressant hältst.“
„Ich bin doch nicht uninteressant.“
„Scheinbar doch. Sonst würdest du dein Buch schreiben und nicht auf meinen Artikeln herumhacken.“
„Ich bin total interessant. Mein Leben ist vielleicht nicht so schillernd wie deins, aber bestimmt nicht langweilig.“
„Eben hast du noch gesagt, es ist immer das gleiche und interessiert keinen.“
„Wieso greifst du mich plötzlich an?“
„Du hast meine Fachartikel angegriffen, weil du mich interessanter findest als dich selbst.“
„Sorry. Das war nicht so gemeint. Du schreibst eben wissenschaftlich und ich poetisch. Bei mir wird das Gewöhnliche schillernd und besonders. Ich kann in Dingen und Menschen das Liebenswerte sehen und beschreiben.“ Sie sah ihre Freundin schelmisch an. „Ich bin vielleicht nicht besonders interessant, mein Leben vermutlich auch nicht, aber meine Texte können es sein.“
„Da spricht doch der Trotz aus dir.“
„Überhaupt nicht. Ich habe gerade begriffen, dass ich mir etwas eingeredet habe.“
„Nämlich?“
„Ich brauche nicht interessant zu sein, um spannende, berührende Geschichten zu schreiben.“
„Das klang eben noch anders. Sicher, dass du dir das wirklich glaubst?“
„Ist doch egal. Ich erklären meine Texte hiermit für interessant und danach handele ich jetzt.“
„Du spinnst!“ Janina lachte.
„Das werden wir ja sehen. Bist du sauer, wenn ich gehe? Ich würde die Stunde, bis ich Anna abhole, gern nutzen, um mein Exposé zu schreiben. Ich kenne einen Verleger, dem will ich das unbedingt anbieten.“
„Natürlich. Kein Problem.“
Isabel trank ihren Kaffee aus. „Kannst du es gegenlesen?“
„Schick es mir einfach zu. Ich baue auch kein Fachchinesisch ein.“
„Sei nicht sauer. Nächste Woche lade ich dich zum Essen ein.“
„Pizza Bufala?“
„Klar.“ Isabel sprang auf, umarmte ihre Freundin und küsste sie auf die Wange. „Du bist die Beste.“
„Du auch.“

Hast du deine Meinung auch schon mal bewusst um 180 Grad gedreht? Was ist dabei herausgekommen? Schreib es in die Kommentare.

 

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